Fiaker haben den Ruf etwas typisch Wienerisches zu sein. Doch immer strenger werdende Auflagen und Gesetze verdrängen die zweispännigen Kutschen zunehmend aus dem Stadtbild.
Wien vor 132 Jahren
Es ist ein kalter und trister Novembertag in Wien. Die Stadt versinkt in einem Meer aus Grau und die Sonne kämpft gegen eine dichte Wand aus Nebel an, der an diesem Tag ein übermächtiger Gegner bleibt. Auf dem Kopfsteinpflaster, das typisch für das Wien des 19. Jahrhunderts ist, hallt der rhythmische Klang der Pferdehufen besonders laut nach. Im Minutentakt ziehen, auf Holzschienen geführte, Pferdetramways an der Wiener Staatsoper vorbei.
Neben dem damaligen Äquivalent zu den heutigen Straßenbahnen sind um das Jahr 1875, laut einer Studie der Wiener Umweltschutzabteilung zum Thema Lärm, rund 1149 Fiaker, 1352 Einspänner, 890 Stellwagen und 174 Stadtlohnwagen unterwegs. Doch nicht nur die andauernde Beschallung sondern auch der Gestank des Pferdemistes ist ein ständiger Begleiter der Großstadt. Wien am Ende des 1900 Jahrhunderts ist wahrlich nichts für Zartbesaitete.
Die Leidenschaft als Beruf
Heute, zurück im Jahr 2017, ist ein ähnlich nebeliger Novembertag. Hinter der Wiener Staatsoper, zwischen Albertina und Hotel Sacher herrscht rege Betriebsamkeit. Viele Touristen eilen von einem Hotspot zum anderen und drücken dabei, häufig ohne überhaupt stehen zu bleiben, auf den Auslöser ihrer Kameras oder ihrer Handys, bevor sie weiter ziehen. Autos, Busse, Taxis, Fahrradfahrer und LKWs schleppen sich durch die Straßen und stehen mitunter Minuten vor einem Zebrastreifen weil der Strom an Touristen einfach nicht abreißen mag.
Hier, zwischen all dem hektischen Treiben, hat Alfred mit seinem Fiakergespann den Stellplatz direkt gegenüber der Albertina bezogen. Er ist gerade dabei seine Pferde zu versorgen, als ein junges Paar ihn um ein Foto mit ihm bittet. Bereitwillig unterbricht er seine Arbeit um vor seiner Kutsche zu posieren. Nach dem Aufblitzen der Kamera wendet er sich wieder seinen Tieren zu und füttert ihnen eine Karotte. Alfred, eigentlich schon in Pension, fährt nur mehr zwei Mal pro Woche aus. „Ich fahr mit zwei Pferden die auch schon in da Pension sind. Der Chef sagt: ‚Wieso soll ma die weg tun? ‘, und deswegen fahr ma halt damit einen Tag oder maximal zwei Tage in da Woche. Damit sie sich bewegen.“
Als Angestellter beim „Fiaker Baron“ geht er seit 2002, wie er selbst sagt, seiner Leidenschaft nach. „Also wenn ich gwusst hätt vor 40 Jahren, dass mir das so a Freud macht, dann wär ich vor 40 Jahren schon a Kutscher gworden.“ Zuvor war Alfred im Lebensmittelhandel tätig und später in der Gastronomie, wo er bereits Gäste mit der Kutsche chauffiert hat, bevor er sich dann entschloss die Fiakerprüfung zu machen. Um die Ausbildung überhaupt beginnen zu dürfen ist das Österreichische Fahrabzeichen in Bronze (ÖFAB) für „Gespannfahren nach den Bestimmungen des Bundesfachverbandes für Reiten und Fahren in Österreich“ Voraussetzung. Erst danach wird man für die „Fahrdienstprüfung für Fiaker- und Pferdemietwagen“ zugelassen.
Stellplatz ist nicht gleich Stellplatz
Aktuell gibt es in Wien sechs Orte wo Fiaker ihre Kunden aufnehmen dürfen. Bei der Albertina, auf dem Peterplatz, auf dem Michaelerplatz, am Stephansplatz, dem Burgring 1 beim Burggarten und am Universitätsring vor dem Volksgarten. Täglich teilen sich 58 Fiaker diese Plätze, nach genau geregelten Vorgaben, untereinander auf. Platzkarten, die auf den Kutschen angebracht sind, bestimmen, wer an welchen Tagen in der Innenstadt fahren darf und wer nicht. Alfred hält diese Regelungen für sinnvoll. „Die Unternehmen san natürlich auf die Idee gekommen das a jeder sich noch a paar Zeugerl (Anm. ugs. für Fiaker) dazu nimmt. Vorher is jeder halt gfahrn mit zwei oder drei. Und auf einmal wära kommen mit fünfe oder no mehr. Und da hat die Gemeinde dann, MIT RECHT, gesagt: ‚Also so geht’s a wieder ned. ‘“
Doch nicht jeder begrüßt die Regulierungen mit so offenen Armen wie Alfred das tut. Katharina, eine Fiakerfahrerin die sich während des Gesprächs dazu gesellt, findet, dass die Stadt damit gegen die Kutscher arbeitet. Guten Umsatz würden die Fahrer nur an zwei Plätzen machen. „Stephansplatz und Michaelerplatz gehen gut.“, sagt sie. „Andere, wie vor dem Burgtheater, bringen gerade einmal genug Kunden für einen Fiakerfahrer. Wenn überhaupt!“
Nach der Renovierung des Stephansplatzes in diesem Jahr hat sich die Lage noch einmal verschärft. Die Anzahl wurde dort von 24 auf 12 reduziert. Die aufgelassenen zwölf Plätze wurden auf den, dafür neu gegründeten, Standplatz Burgring 1 verlegt. Für viele ein weiteres Indiz dass „die Stadt die Fiaker eigentlich loswerden möchte“, wie die Fiakersprecherin Martina Michelfeit-Stockinger bereits im Dezember letzten Jahres in einem Interview für den Kurier betonte. Sie hatte sich eine Einigung mit der Stadt Wien über Ersatzplätze in der Nähe des Stephansplatzes, wie zum Beispiel in der Rotenturmstraße, erhofft. Diese sind jedoch „vom Tisch gewischt worden“, wie sie in einem weiteren Interview mit der Presse bestätigte.
Die Wiener Bürokratie
Überall stimmt aber auch Alfred nicht mit den Maßnahmen der Verwaltung überein. Dass die Fiakerberechtigung, die für ihn ebenso ein Lichtbildausweis wie ein handelsüblicher PKW-Führerschein ist, nicht offiziell als solcher anerkannt wird, empfindet er als Schikane. „Mit dem kennan se sich auf da Post ned amoi an Brief abholen.“ Auch die unverhältnismäßig hohen Strafen sind bei den Kutschern immer wieder ein heißdiskutiertes Thema. „Wenn man seine Fiakerlizenz nicht vorweisen kann, weil man sie einmal vergessen hat, kann das schnell zwischen 300 und 400 Euro kosten.“ echauffiert sich Katharina. Im Vergleich dazu zahlt man, vergisst man seinen PKW Führerschein, nur 35 Euro. „Obwohl die Herrschaften die zur Kontrolle kommen eh uns alle kennen.“ ergänzt Alfred kopfschüttelnd. Ganz so drastisch fällt der Unterschied zwischen den Strafen dann aber doch nicht aus. Laut der Wirtschaftskammer Wien ist der Höchststrafsatz für so ein Vergehen bei maximal 140 Euro angesetzt. „Liegt jedoch mehr als ein Verstoß vor, kann es durchaus passieren, dass sich die Strafen auf den genannten Preis kumulieren“, ergänzt der Fachgruppengeschäftsführer Dr. Andreas Curda.
Verärgert erinnert Alfred sich des Weiteren an eine Geschichte die ihm vor ein paar Monaten widerfahren ist: Als er bei der letzten Kontrolle nach seiner Fahrlizenz gefragt wurde, bemerkte er, dass er sie an diesem Tag vergessen hatte. „Sagt diese kontrollierende Person, ja Herr Alfred i was eh, sie haben 200 (Anm.: Ausweisnummer).“ Die Strafe war trotzdem zu entrichten. Dass der Beruf des Fiakerfahrers einer strengen Kleiderordnung unterliegt verursacht ebenfalls immer wieder Unmut. Laut der Betriebsordnung für Fiaker und Pferdemietwagenunternehmen müssen die Fahrer wie folgt gekleidet sein: Einfarbiges Hemd/Bluse, Mascherl oder Krawatte, lange Hose/Rock, Gilet, Sakko/Blazer, Straßenschuhe und Melone. So kann es schon einmal vorkommen dass, wenn der Kutscher seine Melone nicht aufhat, ein Bußgeld von 365 Euro zu entrichten ist, berichtet uns Alfred von einem Kollegen, den diese drakonische Strafe getroffen hat. Welche Verstöße noch begangen wurden um auf diese Summe zu kommen, erwähnte er nicht. Denn auch hier gilt: Maximal 140 Euro sind in so einem Fall zu entrichten. Vor allem im Sommer ärgern sich viele Fahrer über diese unflexiblen Bedingungen. „Die Pferde sollen frei bekommen, aber wir müssen bei 35 Grad den Hut aufbehalten“, beklagt sich Katharina.
Frau Fiakerfahrerin übernehmen sie
Zu diesem Zeitpunkt hat sich auch Katharina, nachdem sie zuvor mit Kunden unterwegs war, wieder in die Linie der wartenden Fiaker eingereiht. Sie ist seit fast zehn Jahren Fiakerfahrerin. Ein Drittel der Kutscher sind Frauen erzählt sie. Bestätigen lässt sich das leider nicht, da es gewerblich nicht relevant ist und deswegen bei der WKW dazu keine Daten aufliegen.
Ihre Chefin, Martina Michelfeit-Stockinger, war eine der ersten Frauen die sich in diesem Gewerbe, in dem es seit 1984 Fiakerfahrerinnen gibt, behaupten konnte. Auf die Frage ob es schwieriger ist als Frau in diesem Beruf zu arbeiten entgegnet sie, dass sie nicht das Gefühl hat, dass es eine Ausgrenzung auf Grund ihres Geschlechts gibt. „Früher war das wohl noch ein bisschen anders!“, fängt sie ihre Geschichte über eine Fahrerin und einen männlichen Kollegen an, die während eines Streits aneinandergeraten sind. Nach einem heftigen Wortgefecht stieß die Kutscherin ihr Gegenüber von sich. Der wiederum stolperte und fiel so unglücklich, dass er sich dadurch ein blaues Auge zuzog. Ab diesem Zeitpunkt war die Kollegin anerkannt. So verschaffte man sich damals Respekt.
Katharinas Meinung über die gesetzliche Lage erscheint vollkommen konträr zu der ihres Kollegen. Während Alfred immer wieder erwähnt dass die Regulierungen für ihn akzeptabel sind, ja, er sie sogar befürwortet, kommt von Katharina kein positives Wort darüber. „Wissens, das ärgert mich! Das tut mir von Grund auf im Herzen weh!“ bekomme ich als Antwort auf meine Frage, ob sie die Fiaker als etwas typisch wienerisches sieht. Als ich nachhake erklärt Katharina, dass sie nicht verstehe, warum die Politik dieser traditionsreichen Wiener Institution – „In jedem Reiseführer findet man was über Fiaker!“ – mit immer neuen und strengeren Auflagen das Leben schwer macht.
„Für uns san lauter gscheide Leut am Werk“
Mit den Arbeitszeiten kann Alfred, der seine Pferde mittlerweile zugedeckt hat um sie vor dem kalten Wind zu schützen der heute durch die Gassen pfeift, gut leben. Alleine die Tatsache dass die Betriebszeiten nicht an die Sommer- und Winterzeit angepasst werden stört ihn. „Für uns san lauter gscheide Leut am Werk, aber scheinbar fehlt noch ein Gescheiter der sagt ‚Da muss eine neue Regelung her‘.“ Des Weiteren merkt er an, dass durch eine Anpassung der Arbeitszeiten die Mittagshitze an extrem heißen Tagen umgangen werden könnte. Dafür könnte er sich vorstellen, in lauen Sommernächten, auch noch spätabends Gäste zu kutschieren. Die Tiere würden ebenfalls davon profitieren, wirft er ein, um seine Forderung zu untermauern.
Früher, als es noch keine fix vorgeschriebenen Arbeitszeiten gab, hat es Kollegen gegeben, die um sechs in der Früh losgefahren sind und erst um Mitternacht wieder Zuhause waren, erklärt Alfred. Dies sei zwar nicht die Regel gewesen, aber Überfleiß und, bei dem ein oder anderen vielleicht auch Geldgier, führten manchmal dazu, dass die Schicht bis spät in die Nacht andauerte. Er zeigt sich froh darüber, dass heutzutage der Stall erst um neun Uhr verlassen werden darf und die Pferde spätestens um 23 Uhr wieder zurück sein müssen. Bei besonderen Anlässen, wie beispielweise Hochzeiten, kann um Genehmigung angesucht werden. Dann ist es auch möglich außerhalb dieser Zeiten Gäste zu kutschieren.
Wenn der Winter die Zügel übernimmt
Die Wintermonate bedeuten für die Fiakerfahrer harte Zeiten und schwierige Bedingungen. Die Kunden bleiben oft gänzlich aus und der Umsatz bricht ein. Alfred erklärt, dass man mindestens drei Fahrten pro Tag absolvieren muss, damit sich die Anreise aus den Stallungen in Simmering überhaupt lohnt. In den kalten Monaten geht sich das jedoch nicht immer aus. Aus diesem Grund entscheiden sich viele Unternehmen dazu, den Betrieb im Winter ruhen zu lassen. In der Zeit von Neujahr bis zur Karwoche sind daher nur vereinzelt Fiaker in Wien anzutreffen.
Als alter Hase im Geschäft hat Alfred das Gefühl, dass die Fluktuation bei den Fahrern zunimmt. Doch auch hier wiedersprechen die Zahlen der WKW dem subjektiven Empfinden des Fiakerfahrers. Diese können nämlich keine signifikante Zu- oder Abnahme an Kutschern bestätigen. Das Bruttoeinstiegsgehalt der Branche liegt laut AMS-Berufslexikon zwischen 1370 und 1510 Euro. Für ihn ist es ein nettes Taschengeld, das er sich mit dem Fiakerfahren dazuverdient, aber für junge Kollegen, die sich etwas aufbauen wollen, sieht er schwierige Bedingungen.
Organisatorisch gehört der Berufsstand der Fiakerfahrer der Innung der Taxifahrer an. Laut der VIDA (Österreichische Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft) gibt es für die Kutscher keine eigene Gewerkschaft, die sich um ihre Anliegen kümmert. Die Fiakersprecherin, Martina Michelfeit-Stockinger, versucht jedoch immer wieder für die Interessen der Kutscher einzutreten. Meinungsverschiedenheiten zwischen den Fahrern macht dies aber zu einer fordernden Aufgabe, die oft nicht den gewünschten Erfolg bringt.
Was die Zukunft angeht, sieht Alfred die Situation ganz realistisch: „Wenns uns nicht mehr geben würde, kommaten die Touristen auch. Keiner kommt nur wegen uns. Des wiss ma eh. Aber andererseits si ma bei den Touristen sehr beliebt.“ Bevor er auf die Kutsche steigt, um mit zwei amerikanischen Touristen eine Rundfahrt zu beginnen, scherzt er noch: „Eines Tages werd ich dann vielleicht auch noch Bürgermeister.“
In diesem Fall wäre der Fortbestand der Fiaker wohl gesichert.
-Ralf Waldhart-
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